Radverkehrsinfrastruktur in Tempelhof-Schöneberg – Bilanz 2019

Zum Jahreswechsel von 2019 zu 2020 ziehen wir wieder Bilanz: Was hat sich im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg für eine bessere Infrastruktur für Radfahrende getan?

Gehen wir dazu die Elemente der Verkehrsinfrastruktur für Radfahrende einmal durch:

Radschnellverbindungen

  • Radschnellverbindungen zeichnen sich durch breite, meist separate Wege aus, sind beleuchtet und über längere Strecken ohne Stopp zu befahren.
  • Im Stadtbezirk wird es voraussichtlich ca. 4 km einer Radschnellverbindung als Teil der Teltowkanalroute geben.
  • Die Planung dafür ist vorangekommen: Die Machbarkeitsstudie wurde fertiggestellt und mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert.
  • Die Planung managt InfraVelo im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK).
  • Die Bilanz für 2019: Guter Fortschritt in der Planung.

Vorrangnetz

  • Das Mobilitätsgesetz formuliert das Ziel, besonders wichtige Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung auszubauen und zu einem Vorrangnetz zu verknüpfen. Es wird bevorzugt auf Nebenstraßen – in der Regel Fahrradstraßen – geführt. Auf ihm soll dem Radverkehr Vorrang vor dem motorisierten Verkehr eingeräumt werden.
  • Um das Vorrangnetz aufzubauen, wären die Arbeitsschritte zu erledigen:
    • Zukünftiges Radverkehrsnetz entwerfen,
    • konkrete Radverkehrsanlagen, Fahrradstraßen, Sonderwege planen (Machbarkeitsstudie, Vorplanung, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Ausschreibung),
    • konkrete Radverkehrsanlagen bauen bzw. ausweisen.
  • Ein von SenUVK beauftragtes Büro begann mit dem Entwurf des Radverkehrsnetzes. Der vom Mobilitätsgesetz vorgegebene Fertigstellungstermin Juli 2019 wurde nicht eingehalten. Ein modifzierter Termin (Februar 2020) wird ebenfalls gerissen, da das beauftragte Büro den Auftrag an SenUVK zurückgegeben hat.
  • Die Bilanz für 2019: Keine einzige Radverkehrsanlage des Vorrangnetzes wurde im Stadtbezirk geplant, gebaut oder ausgewiesen.

Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen

  • Nach dem Mobilitätsgesetz müssen bis 2030 an den 112 km Hauptverkehrsstraßen des Stadtbezirks sichere Radverkehrsanlagen errichtet werden. Sie sollen so breit sein, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Sie sollen gegen unzulässiges Befahren durch Kraftfahrzeuge geschützt sein, was z. B. bei geschützten Radfahrstreifen oder Hochbordradwegen der Fall ist.
  • Um das Ziel zu erreichen, wären im Stadtbezirk ca. 12 km jährlich zu bauen.
  • Noch aus dem Jahr 2018 sind hier Projekte an folgenden Straßen in der Planung: Marienfelder Allee, Boelckestraße, Kolonnenstraße, Schöneberger Straße. Keines dieser Projekte ist in der Planung ein Stück voran gekommen, geschweige denn gebaut worden.
  • Es wurden keine neuen Planungen begonnen, so dass auch für die kommenden Jahre kein Vorlauf geschaffen wurde.
  • Bei der Hauptverkehrsstraße Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße ging es voran: Das Beteiligungsverfahren wurde abgeschlossen, Ergebnis: Der von den Bürgerinnen und Bürgern im Einwohnerantrag geforderte Verkehrsversuch mit beidseitigen, durchgehenden Radverkehrsanlagen soll bis Sommer 2020 umgesetzt werden. Dafür erstellte das beauftragte Planungsbüro eine Machbarkeitsstudie und eine Bauplanungsunterlage. Die nötigen Abstimmungen mit der Verkehrslenkung Berlin verzögerten sich allerdings (statt August 2019 nun Januar 2020).
  • Die Bilanz für 2019: Nur Planungsfortschritt bei einem einzigen Projekt – Verkehrsversuch Tempelhofer Damm. Kein Planungsfortschritt, keine Bauausführung bei allen anderen Projekten, keinerlei Planungsvorlauf für die nächsten Jahre.

Sichere Knotenpunkte

  • Das Mobilitätsgesetz sieht vor, dass im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes berlinweit mindestens 10, im Folgejahr 20 und danach mindestens 30 der gefährlichsten Knotenpunkte so verändert werden, dass die Gefahrenquellen bestmöglich beseitigt werden und die Verkehrssicherheit erhöht wird.
  • Im Stadtbezirk wurde 2019 kein einziger Knotenpunkt entschärft.
  • Die Bilanz für 2019: Ziele komplett verfehlt.

Radverkehrsanlagen im Nebennetz

  • Zu diesem Punkt zählen Maßnahmen, die innerhalb des Nebenroutennetzes im Stadtbezirk umzusetzen sind. Das Nebenroutennetz ist allerdings eine ältere Planungsgrundlage, die gemäß Mobilitätsgesetz weiterzuentwickeln ist. Es geht zukünftig in einem deutlich dichteren Radnetz auf, dass aus Radschnellverbindungen, dem Vorrangnetz, den Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen und Nebenstraßen (inkl. Fahrradstraßen) besteht.
  • Betrachten wir jetzt hier allein die Fortschritte im älteren Nebenroutennetz, an denen der Stadtbezirk arbeitet.
  • Gehen wir jede einzelne Maßnahme durch: Vorweg sei gesagt: Jede dieser Maßnahmen ist von sehr begrenzter örtlicher Ausdehnung, oft handelt es sich nur um einen kleinen Knotenpunkt, eine kurze Strecke oder Querung. Auch die Baukosten sind gering, sie liegen im 5-stelligen oder niedrigen 6-stelligen Bereich.
    • Querung der Potsdamer Straße, Höhe Alvenslebenstraße und Winterfeldtstraße – kein Fortschritt 2019
    • Ringstraße von Kaiserstraße bis Knotenpunkt Ringstraße/Rathausstraße (Markieren Radverkehrsstreifen) – geringer Fortschritt in der Planung
    • Zweirichtungsradweg Alt-Mariendorf zwischen Großbeerenstraße und Forddamm – geringer Fortschritt in der Planung
    • Mariendorfer-Hafen-Weg (Ausbau Radverkehrsanlage) Anbindung Lankwitzer Straße bis LSA 16051 Knotenpunkt Haynauer Straße (Querungshilfe) – kein Fortschritt in der Planung
    • Richard-Tauber-Damm/Grimmingweg (Querungshilfe) – Fortschritt: Bau ausgeführt
    • Knotenpunkt Alt-Tempelhof/Schönburgstraße (Verlängerung Schutzstreifen und Querungshilfe) – kein Fortschritt 2019
    • Schönburgstraße (Asphaltierung) von Alt-Tempelhof bis Parkstraße – kein Fortschritt 2019
    • Parkstraße – Blumenthalstraße von Schönburgstraße bis Friedensplatz – Zwar Fortschritt in Planung in 2019, aber Prognose verschlechtert, Bauausführung bis 2022 statt 2019
    • Hundsteinweg Höhe Hausstockweg (Entfernen Querungsstreifen) – Fortschritt: Bau ausgeführt
    • Lintruper Straße zwischen Lessing- und Goethestraße – Kein Fortschritt 2019.
    • Radverkehrsführung südlich Bf Südkreuz – Auditprüfung liegt zwar nun vor, aber kein Planungsfortschritt 2019.
    • Schöneberger Schleife, Yorckplätze bis Cheruskerpark (Verbesserung Radverkehrsführung) – kein Fortschritt 2019
  • Die Bilanz für 2019: An sehr wenigen kleinen Maßnahmen sind Fortschritte zu verzeichnen. Die meisten Projekte kommen jedoch nicht voran.

Ausweisen von neuen Fahrradstraßen

  • Fahrradstraßen sind nach Mobilitätsgesetz geeignete Radverkehrsanlagen im Nebennetz, um Radfahrende gegenüber dem motorisierten Verkehr zu bevorzugen. Deshalb sollen viele Fahrradstraßen neu eingerichtet werden.
  • Im Stadtbezirk wurde im Jahr 2019 keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen.
  • Im FahrRat und im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung wurde zwei mögliche Projekte (Handjerystraße und Ost-West-Fahrradstraße über Belziger-, Monumentenstraße) besprochen. Es soll ein externer Planer beauftragt werden, was aber 2019 noch nicht geschehen ist.
  • Die Bilanz für 2019: Ziele komplett verfehlt. Keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen.

Instandhaltungen von Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz

  • Die bestehenden Radverkehrsanlagen sind häufig viele Jahrzehnte alt und nicht gepflegt. Deshalb befinden sie sich vielerorts in einem beklagenswerten oder gar gefährlichen Zustand: Löcher, Wurzelaufbrüche, defekte Entwässerungen, Wasserlachen, unebene Beläge…
  • Es gäbe also sehr viel instand zu setzen, auch im Stadtbezirk. Das sind Arbeiten, die in der Regel mit wenig Aufwand zu planen und zu bauen sind.
  • Im Stadtbezirk gab es 2019 eine einzige Instandsetzung nennenswerten Umfangs, den Radweg im Zuge des Tempelhofer Damms zwischen Manfred-von-Richthofen-Straße und Bayernring (Fahrtrichtung Nord, entlang des Flugfelds). Die Arbeiten sind – mit Ausnahme der Markierungen – abgeschlossen.
  • Die Bilanz für 2019: Ziele weitgehend verfehlt. Nur eine nennenswerte Instandsetzung an Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz.

Fahrradparken

  • SenUVK hat Anfang 2018 ein 100.000-Bügel-Programm aufgelegt: Fahrradbügel, die berlinweit auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen sind, um das Fahrradparken grundsätzlich zu verbessern. Davon entfallen rechnerisch ca. 8.000 Fahrradbügel auf den Stadtbezirk.
  • Wir hatten im Februar 2018 hier dazu aufgerufen, mögliche Standorte für Fahrradbügel auf unserer Webseite einzugeben, um sie dann gesammelt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zu übergeben. Insgesamt gaben uns Bürgerinnen und Bürger über 220 Standortwünsche für über 2000 Fahrradbügel.
  • Das Bezirksamt beauftragte dann erst Ende 2018 ein Planungsbüro für Konzept und Bauplanung. Ergebnisse lagen in 2019 nicht vor, Begründung: Das Planungsbüro hätte geringe freie Kapazitäten!
  • Die Bilanz für 2019: Ziele komplett verfehlt.

Grünbeschichtung von Radfahrstreifen

  • Vorhandene Radfahrstreifen sollen grün markiert werden.
  • Das Management von Planung und Bauausführung erledigt InfraVelo im Auftrag von SenUVK.
  • Im Bezirk wurde ein einziger Radfahrstreifen grün beschichtet: Die Rheinstraße (einseitig, zwischen Guthmutsstraße und Saarstraße, ca. 450 m)
  • Die Bilanz für 2019: Das Ergebnis 2019 ist hier gering.

Fassen wir zusammen

  • Die Ziele sind groß, das Ergebnis ist nahezu NICHTS! Die Bilanz für 2019 ist ein Desaster.
  • Selbst einfache Aufgaben, die nur geringe Planungs- und Bauaufwände verursachen, gelingen nicht.
  • Große Projekte (mit Ausnahme Verkehrsversuch Tempelhofer Damm und Radschnellverbindung) blieben einfach unbearbeitet.
  • Weil auch der planerische Vorlauf fehlt, ist auch keine Besserung im nächsten Jahr zu erwarten.
  • Bei dem aktuellen „Tempo“ würde es ca. 300 Jahre dauern, bis die Ziele des Mobilitätsgesetzes in Tempelhof-Schöneberg umgesetzt wären.