Wenn es um Lippenbekenntnisse für die Förderung des Radverkehrs in Berlin geht, gibt es breite Zustimmung quer durch alle Parteien. Sollen dafür allerdings Parkplätze entfallen, wird es plötzlich ganz ruhig. Warum denn?
Wir alle sind gewohnt, dass das Berliner Stadtbild vom Autoverkehr geprägt ist. Über den Stadtring kommen Autos schnell von einem Ende der Stadt zum anderen, der Wocheneinkauf für die Familie lässt sich mit dem Auto bequem erledigen. Das eigene Auto galt lange Zeit für viele Menschen als unverzichtbar. Doch die Zeiten ändern sich.
Selbst die härtesten Autoverfechter müssen zugeben, dass ein Pkw zwar praktisch und komfortabel ist für die, die drin sitzen. Alle anderen bezahlen für deren Komfort jedoch mit starker Einschränkung ihrer Lebensqualität – vor allem in Städten wie Berlin mit extrem hohem Pkw-Verkehr.
Und es werden immer mehr! Durch die zunehmende Einwohnerzahl kommen jeden Monat über 1.000 neue Fahrzeuge hinzu. Diese Zahl muss wirklich jeder und jedem zu denken geben. Niemand hat ein Konzept, wie diese Autos alle in unsere Stadt passen sollen. Wir steuern so oder so auf eine Situation hin, in der der Straßenverkehr zusammenbrechen wird. Die Luft in Berlin ist erwiesenermaßen gesundheitsschädlich, woran Abgase aus dem Straßenverkehr einen hohen Anteil haben. Und über die Toten im Straßenverkehr und die Lärmbelastung haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen.
Ein Problem zu erkennen, ist der erste Schritt hin zu dessen Lösung. Wir erkennen also: Berlin hat ein drängendes Problem mit der Unmenge an Autos. Dieses Problem muss an der Wurzel angegangen werden: Die Anzahl der Autos in der Stadt muss sinken. Weniger Autos bedeuten bessere Luft, weniger Lärm und mehr Platz zum Leben.
Wie können die Bürger*innen zum Umstieg vom Auto auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad motiviert werden?
In Berlin lässt sich bereits ein zarter Trend weg vom Auto erkennen. Lag der relative Anteil der Pkw-Fahrten 2008 noch bei 38 %, ist er inzwischen auf 30 % gesunken. Absolut haben die Mengen der Pkw-Fahrten durch die steigende Einwohnerzahl allerdings zugenommen. Dennoch lässt sich nicht leugnen: Viele Menschen möchten nicht mehr allein aufs Auto angewiesen sein. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Bundesumweltministeriums stimmten 91 % der Befragten der Aussage zumindest teilweise zu, dass Städte so umgestaltet werden sollten, dass der Fokus nicht mehr auf dem Auto liegt und damit auch die Abhängigkeit wegfällt.
Eine schöne Idee wäre es also, eine hervorragende Infrastruktur für Radfahrende zu schaffen. Autofahrer*innen würden dann öfter ihr Auto stehen lassen, um mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Viele werden dabei feststellen, dass sie ihr Auto immer weniger benötigen und es abschaffen – dann kann mit dem Rückbau der nicht mehr benötigten Parkflächen begonnen werden.
Nur: Für dieses langfristige Vorgehen fehlt der Platz. Und schon sind wir wieder beim Stichwort Parkplätze. Denn die einzige Möglichkeit, einen Wandel herbeizuführen, liegt in der allmählichen Umverteilung öffentlicher Flächen. Manchmal kann durch nur vier Stellplätze weniger eine Kreuzung sicherer gestaltet werden. Manchmal sind jedoch größere Veränderungen nötig, um eine sinnvolle Infrastruktur anzulegen – auch wenn es Autofahrer*innen zunächst drastisch erscheint.
Objektiv betrachtet, ist es nicht hinnehmbar, dass ein Großteil des öffentlichen Raumes genutzt wird, ein Privatauto einfach nur abzustellen, meist noch kostenlos. Dabei stehen viele Autos 23 ½ Stunden am Tag nur herum, auf kostbaren öffentlichen Platz.
Wenn nach und nach kleine – oder auch grössere – Stücke dieses öffentlichen Raumes für den umweltfreundlichen Verkehr umgestaltet werden, ist dies ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit: Denn momentan steht dem Radverkehr nur 3% der Verkehrsfläche zur Verfügung. Der Anteil am Gesamtverkehr beträgt dagegen 13%, mit steigender Tendenz.
Diese Einschnitte in die gefühlte Einschränkung der Autofahrenden erscheinen anfangs vielleicht hart. Aber nur sie schaffen den dringend benötigten Platz für die zunehmende Zahl der Menschen, die sich umweltfreundlich und gesundheitsfördernd mit dem Rad durch die Stadt bewegen. Sie motivieren Menschen, die sich bisher aus Angst vor dem Autoverkehr nicht aufs Rad trauten. Nicht zuletzt schaffen sie mehr Platz auf den Straßen für die, die wirklich aufs Auto angewiesen sind. Und vor allem: Sie machen Berlin wieder lebenswert.
Quellen:
http://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/zahlen_fakten/mobilitaet_2013/
https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/produkte/produkte-langereihen.asp
http://clevere-staedte.de/flaechen-gerechtigkeits-report-online