Nach jahrelanger Planung sollten in der Schöneberger Grunewaldstraße endlich geschützte Radwege entstehen. Eigentlich. Doch CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner stoppte nach ihrem Amtsantritt das Vorhaben. Nach den massiven Protesten gegen diesen Radwegestopp wurden die Radwege zugesagt. Allerdings wurden die Planungen so gravierend verändert, dass sie nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Das Mobilitätsgesetz sieht für Hauptstraßen vor:
„Radverkehrsanlagen mit erschütterungsarmem, gut befahrbarem Belag in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite […]. Diese sollen so gestaltet werden, dass sich Radfahrende sicher überholen können.“
Ebenso ist gesetzlich festgelegt:
„Im Sinne vorausschauender Planung ist die in Umsetzung der Planung zu erwartende Radverkehrsnutzung bei der Dimensionierung zu berücksichtigen. Die Radverkehrsanlagen sollen so gestaltet werden, dass unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt. Näheres wird im Radverkehrsplan und in den Vorgaben für die Radverkehrsplanung geregelt.“
Was hat die von Manja Schreiner eingesetzte Taskforce konkret geändert?
- Über längere Strecken entfiel der Schutz der Radfahrstreifen vor unzulässigem Befahren durch Kraftfahrzeuge. In der ursprünglichen Planung sollte dies noch durch kleine Warnbaken, sogenannte Leitboys, erreicht werden. Nach den neuen Plänen ist es wieder möglich, dass die Radfahrstreifen regelmäßig durch abgestellte Autos zugestellt werden. Und das wird passieren, denn die Grunewaldstraße hat viele Geschäfte. Zugespitzt formuliert: Hier wird statt eines sicheren Nebeneinander ein unsicheres Gegeneinander organisiert. Die Leidtragenden sind die Menschen auf dem Fahrrad: Wenn ihr Bereich zugestellt wird, müssen sie sehen, wie sie zurechtkommen, denn dann müssen sie über den Bereich des schnelleren Autoverkehrs ausweichen. Das sorgt für Konflikte und gefährdet völlig unnötig Radfahrende. Es verschreckt Kinder, Senior*innen und alle Menschen, die nur dann auf das Rad steigen, wenn sie sich dabei sicher und entspannt fühlen können. Es ist absolut unverantwortlich, wenn die Senatsverwaltung laut Tagesspiegel trotzdem keine Einschränkung für die Sicherheit von Radfahrenden sieht.
- Die geplanten Radverkehrsanlagen wurden verengt. Nach dem Radverkehrsplan sind eigentlich 2,3 m Breite vorgeschrieben (Regelmaß des Berlin-Standards). Nun sind über längere Strecken nur noch 2,0 m geplant. Damit ist sicheres einander Überholen unmöglich. Eine weitere Vorgabe aus dem Mobilitätsgesetz wird also missachtet. Diese Planung ist auch nicht zukunftsorientert, wie im Gesetz gefordert. Denn wer so plant, der plant für die nächsten 30 Jahre ohne wachsenden Radverkehr. Aber bereits heute nimmt der Radverkehr in Berlin stetig zu. Das ist angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise auch dringend nötig. Und genau dafür müssen die Radverkehrsanlagen leistungsfähig sein und sicheres Überholen ermöglichen.
Wer sich für die Details interessiert, für den haben wir die Änderungen Abschnitt für Abschnitt dokumentiert.
Mit dem Lieferverkehr bluffen
Aber warum verkauft die Senatsverwaltung diesen Vorschlag jetzt als besser? Laut Tagesspiegel wegen mehr Lieferzonen. Wirklich? Wir haben die Pläne verglichen und müssen feststellen: das Haus von Manja Schreiner verschaukelt hier die Öffentlichkeit:
ursprüngliche Planung | neue Planung | Veränderung um | |
Länge zeitweises Laden, nachts Parken | 195 m | 225 m | 15 % |
Länge Parken für Schwerbehinderte | 18 m | 18 m | 0 % |
Länge Taxihalteplätze | 90 m | 96 m | 7% |
Länge Kfz-Parkplätze | 264 m | 570 m | 115 % |
Länge Fahrradparken | 12 m | 12 m | 0 % |
Fazit: Die Änderungen geschahen vor allem, um viel mehr Abstellplätze für Autos zu schaffen. Die Fläche für das Parken von Autos hat sich mehr als verdoppelt. Die Fläche für die Lieferzonen ist dagegen nur sehr marginal gewachsen. Die Senatsverwaltung betreibt gegenüber der Öffentlichkeit Etikettenschwindel.
Zusätzlich wird hier erneut das Mobilitätsgesetz missachtet. Denn neben den oben genannten Vorgaben zu Radverkehrsanlagen (baulich geschützt, breit genug für sicheres Überholen) gibt es auch Vorgaben zu Abwägungsentscheidungen in Konfliktfällen. So verweist der Paragraph 25 einerseits auf die Verkehrssicherheit und andererseits auch auf den Vorrang des fließenden vor dem ruhenden Verkehr. Und der Radverkehr ist fließender Verkehr. Die vorherigen Planungen haben auch gezeigt, dass eine solche Abwägung möglich ist.
Unterm Strich: Gesetzeswidriges Handeln
Die Taskforce unter Manja Schreiner erzeugt statt einem sicheren Nebeneinander ein unsicheres Gegeneinander. Der nur minimal profitierende Lieferverkehr wird vorgeschoben, obwohl die Straße vor allem von ganz normalen Autos zugestellt werden soll. Und dafür soll die Sicherheit der Menschen auf dem Rad zurückstehen? Das größte Problem ist aber, dass gesetzliche Vorgaben missachtet werden. Staatliches Handeln ist in Deutschland mit gutem Grund an Gesetz und Recht gebunden. Woher nimmt sich die Taskforce unter Manja Schreiner das Recht, sich auszusuchen, dass das geltende Mobilitätsgesetz ignoriert werden kann?