Am 18. Juni hat ist in Marienfelde an der Unterführung der B 101 unter die Dresdner Bahn ein Mann gestürzt und erlitt dabei tödliche Verletzungen. Weil wir uns nicht damit abfinden können, dass immer wieder Menschen auf den Straßen im Bezirk umkommen, haben wir gemeinsam mit Changing Cities und dem ADFC Berlin zu einer Mahnwache aufgerufen.
Weil diese Stelle sehr beispielhaft für Infrastrukturversagen steht, dokumentieren wir hier mit dem gestrigen Redebeitrag, warum wir über diesen sinnlosen Tod bestürzt und entsetzt sind.
Liebe Familie, liebe Angehörige, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Nachbarn, liebe Trauernden,
Wir sind heute hier zusammen gekommen, um gemeinsam inne zu halten und zu trauern. Zu trauern um einen Menschen, der abrupt aus dem Leben gerissen wurde. Wir trauern mit der Familie und den Angehörigen. Wir trauern mit allen, die mit dem Verstorbenen lebten, die ihn liebten und die mit ihm viele gemeinsame Erlebnisse hatten. Ihnen gilt unser tiefstes Mitgefühl und unser aufrichtiges Beileid.
Wir sind hier zusammengekommen, weil dieser tödliche Unfall für die Familie, für die Freunde und für die Angehörigen das Leben für immer verändert hat. Dieser Unfall hinterlässt eine schmerzende Leere, die nicht zu füllen sein wird. Der Unfall hat abgebrochen, was nicht beendet war. Wir wünschen ihnen viel Kraft für die Zeit, die vor ihnen liegt. In diesem Verlust wollen wir beisammen stehen und im gemeinsamen Trauern Trost suchen.
Und wir sind auch hier, weil dieser tödliche Unfall uns nahe geht. Wir sind alle in dieser Stadt unterwegs und wir sind alle verletzlich. Jeder von uns kann im falschen Moment in eine falsche Situation geraten. Nicht wenige haben Angst vor mehrspurigen Straßen mit schnellem und dichtem Auto- und LKW-Verkehr und weichen in der Hoffnung auf mehr Sicherheit auf den Gehweg aus.
Auch in diesem Fall ist das passiert. Und deshalb macht mich dieser unnötige Tod wütend:
Wer hier auf dem Gehweg fährt, hat schlicht und ergreifend Angst vor dem Verkehr auf der Fahrbahn. Trotz satten 20 Metern Fahrbahnbreite ist hier kein einziger Zentimeter dafür vorgesehen, Menschen auf dem Fahrrad zu schützen. Im Gegenteil: die großzügige Spurengestaltung macht selbst unerschrockenen Menschen das Fahren auf der Straße schwer. Radfahren ist hier nicht vorgesehen. Hier wurde alles für einen schnellen und fließenden Kraftverkehr optimiert.
Mit der Fixierung auf leichtes Autofahren hat man den Menschen auf dem Fahrrad bewusst verdrängt. Den Menschen, der die einzige Querung der Dresdner Bahn im Umkreis von einem Kilometer nutzen muss, um von Marienfelde nach Mariendorf oder umgekehrt zu gelangen. Den Menschen, der Angst hat, sich über mehrfache Spurwechsel zwischen LKWs und Autos seinen korrekten Weg zu bahnen. Diese Straßengestaltung ist schlicht und ergreifend menschenfeindlich. Sie zementiert das Recht des Stärkeren. Radfahrende müssen hier sehen, wo sie bleiben. Und deshalb suchen sie sich ihre eigenen Wege. Es ist eine bittere Ironie, dass die verängstigten und verdrängten Menschen sich gegenseitig gefährden, während der Kraftverkehr, die eigentliche Gefahr, völlig unbehelligt an ihnen vorbeirollen kann. Das ist zynisch.
Wir haben auch gelesen, dass der Verunglückte regelwidrig auf der falschen Gehwegseite gefahren ist. Warum er es getan hat, wissen wir nicht. Vielleicht lagen sowohl seine Herkunft als auch sein Ziel auf dieser Straßenseite. Vielleicht hielt er die Wegführung auf der anderen Seite für noch anstrengender. Wir wissen es nicht. Wir wissen aber, dass Menschen Fehler machen, ohne die Folgen richtig abschätzen zu können. Das ist zutiefst menschlich. Das muss beim Straßenbau berücksichtigt werden. Mit mehr eingeplanten Pufferbereichen könnten unsere Straßen und Wege solche Fehler verzeihen, statt sie tödlich zu bestrafen.
Es gibt ja auch Pläne, die Marienfelder Allee ab dieser Kreuzung umzubauen. Letztes Jahr wurden sie im Verkehrsausschuss vorgelegt. Sie sahen eine Radspur je Richtung vor, enthielten jedoch auch weiterhin Sicherheitsmängel. Die Bezirksverordnetenversammlung hat daraufhin deutliche Verbesserungen für diese Kreuzung eingefordert. Seither scheint es völlig zu stocken. Es stellt sich die Frage, wie geht es hier weiter? Wann gefährdet diese Straße niemanden mehr?
Und diese Straße gefährdet ja nicht nur Menschen auf dem Fahrrad. Sie gefährdet auch Menschen, die mit dem Auto unterwegs sind. Erst vor 2½ Jahren verunglückte ein 26-jähriger Mann, der sich auf diesem Abschnitt zum Rasen mit 80, womöglich gar 100 km/h verleiten ließ. Warum lädt diese Straße noch immer zum Beschleunigen ein? Warum nutzt man nicht den vorhandenen Platz, um stattdessen Vorsicht und Rücksichtnahme zu fördern?
Liebe Familie, liebe Angehörigen, liebe Trauernden,
vor Ihnen liegt eine schwere Zeit und wir wünschen Ihnen dafür jeden Halt, den sie benötigen. In unserem gesamten Leben sind wir immer auf gegenseitige Hilfe und Unterstützung angewiesen. In solchen Momenten ganz besonders. Als Zeichen des Respekts, der Unterstützung und des Mitgefühls bitte ich deshalb alle Anwesenden nun, dem Verstorbenen in Stille zu gedenken und gemeinsam zu trauern.