Wie auch schon in den Vorjahren ziehen wir zum Jahreswechsel Bilanz: Was hat sich im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg für eine bessere Infrastruktur für Radfahrende getan?
Schauen wir uns die Elemente der Verkehrsinfrastruktur einzeln an:
Radschnellverbindungen
Radschnellverbindungen zeichnen sich durch breite, meist separate Wege aus, sind beleuchtet und über längere Strecken ohne Stopp zu befahren.
Im Stadtbezirk wird es voraussichtlich ca. 4 km einer Radschnellverbindung als Teil der Teltowkanalroute geben.
Die Planung managt InfraVelo im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUMVK).
Im Jahr 2021 hatten wir geschrieben, dass an der Planungsphase „Vorplanung“ gearbeitet wurde, ohne sie abzuschließen oder in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Im Jahr 2022 ist InfraVelo keinen Schritt weitergekommen, die Vorplanung ist nicht fertiggestellt und nicht der Öffentlichkeit präsentiert worden.
Inzwischen werden für den Abschluss von Planungsphasen wie der Vorplanung oder Entwurfsplanung keine Termine mehr auf der Websseite von InfraVelo benannt.
Die Bilanz für 2022: Kein nennenswerter Fortschritt in der Planung. Aus unserer Sicht Ziel verfehlt.
Position
Trassenlänge
SOLL bis 2030
4,0 km
davon errichtet im Jahr 2022
0,0 km
davon errichtet seit Geltung des Mobilitätsgesetzes (2018) bis 2022
0,0 km
Bitte beachte beim Vergleich mit unseren Bilanzen der Vorjahre, dass wir ab jetzt immer die Trassenlänge angeben, während wir früher die Länge der Radverkehrsanlage benannten. Sind z. B. auf beiden Seiten einer 1 Kilometer langen Straße Radwege gebaut worden, so nennen wir jetzt eine Trassenlänge von 1 Kilometer, während wir früher 2 Kilometer Radwege bilanzierten. Die Trassenlänge erlaubt einen besseren Vergleich mit dem Soll aus dem Radverkehrsnetz, deshalb wenden wir – wie auch SenUMVK und die Bezirke – dieses Maß jetzt an.
Vorrangnetz
Das Mobilitätsgesetz formuliert das Ziel, besonders wichtige Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung auszubauen und zu einem Vorrangnetz zu verknüpfen. Im Jahr 2021 beschloss der Senat den Radverkehrsplan mit dem Radverkehrsnetz, so dass nun eine verbindliche Vorgabe für das Radverkehrsnetz und dessen Standards existiert.
In unserem Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg: Im Jahr 2022 wurden auf dem Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße (ca. 1,45 km Trassenlänge) geschützte Radfahrstreifen neu errichtet, die im Vorrangnetz liegen und weitgehend den für das Vorrangnetz vorgeschriebenen Qualitätsstandards genügen. Zwischen Ullsteinstraße und Ordensmeisterstraße (Fahrtrichtung Nord) fehlt die Radverkehrsanlage noch, weil Bauarbeiten an der Teltowkanalbrücke im Gange sind.
Auf dem Mariendorfer Damm zwischen Ullsteinstraße und Alt-Mariendorf wurden 2021 für den Ersatzverkehr für die gesperrte U-Bahnlinie 6 zunächst temporäre ungeschützte Radfahrstreifen mit Freigabe für den Linienverkehr angelegt. Es ist geplant, hier dauerhafte geschützte Radfahrstreifen zu errichten. Dazu wurden 2022 die Straßenentwässerungen im Bereich der zukünftigen Radverkehrsanlagen saniert. Doch die Radverkehrsanlage selbst ist noch nicht im Bau.
Die Bilanz für 2022: 1,45 km Vorrangnetz, aus unserer Sicht nicht ausreichend.
Position
Trassenlänge
SOLL bis 2030
56,4 km
davon errichtet im Jahr 2022
1,45 km
davon errichtet seit Geltung des Mobilitätsgesetzes (2018) bis 2022
6,3 km
Ergänzungsnetz
Der Radverkehrsplan sieht ein Ergänzungsnetz für den Radverkehr vor, welches das Vorrangnetz verdichtet und für eine gute Erschließung der meisten Gebiete des Landes sorgt. Die Standards für Radverkehrsanlagen sind niedriger als im Vorrangnetz.
Ein laufendes Projekt in unserem Bezirk ist der nördliche Teil der Handjerystraße. Wie oben bereits beschrieben: Das Projekt ist fertig geplant, doch die Umsetzung im Jahr 2022 wurde maßgeblich durch die SPD-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung blockiert.
Die Bilanz für 2022 ist schlecht, da keine Radverkehrsanlagen im Ergänzungsnetz entstanden.
Position
Trassenlänge
SOLL bis 2030
106,1 km
davon errichtet im Jahr 2022
0,0 km
davon errichtet seit Geltung des Mobilitätsgesetzes (2018) bis 2022
1,1 km
Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen
Nach dem Mobilitätsgesetz müssen bis 2030 an den Hauptverkehrsstraßen des Stadtbezirks sichere Radverkehrsanlagen errichtet werden. Sie sollen so breit sein, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Sie sollen gegen unzulässiges Befahren durch Kraftfahrzeuge geschützt sein, was z. B. bei geschützten Radfahrstreifen oder Hochbordradwegen der Fall ist.
Im Jahr 2022 wurden keine Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen errichtet. (Die Hauptverkehrsstraße Tempelhofer Damm zählen wir als Radvorrangnetz – siehe oben).
Beim Projekt Boelckestraße gab es Fortschritte in der Planung und Präsentationen in der Öffentlichkeit. Doch auf der Straße ist noch nichts zu sehen.
Die Bilanz für 2022 ist schlecht, da keine Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen entstanden.
Position
Trassenlänge
SOLL bis 2030
40,6 km
davon errichtet im Jahr 2022
0,0 km
davon errichtet seit Geltung des Mobilitätsgesetzes (2018) bis 2022
0,2 km
Popup-Radfahrstreifen
Im Jahr 2022 wurden keine neuen Popup-Radfahrstreifen angelegt.
Auf dem Mariendorfer Damm wurden 2021 für den Ersatzverkehr für die gesperrte U-Bahnlinie 6 temporäre ungeschützte Radfahrstreifen mit Freigaben für den Linienverkehr angelegt, die das ganze Jahr 2022 fortbestanden.
Sichere Knotenpunkte
Das Mobilitätsgesetz sieht vor, dass jährlich mindestens 30 der gefährlichsten Knotenpunkte in Berlin so verändert werden, dass die Gefahrenquellen bestmöglich beseitigt werden und die Verkehrssicherheit erhöht wird.
Im Stadtbezirk wurde im Jahr 2022 kein einziger Knotenpunkt entschärft.
Nach einem schweren Unfall an der Kreuzung Großbeerenstraßen/Friedenstraße/Lankwitzer Straße (ein rechtsabbiegender LKW-Fahrer ignorierte den Vorrang einer Radfahrenden und überrollte sie) fand auf unsere Initiative hin schon 2021 ein Vor-Ort-Termin mit der Senatsverwaltung und dem Bezirksamt statt. Das Ergebnis: Der Abbiegeradius für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge aus der Großbeeren- in die Friedenstraße sollte mit Sperrfläche und Protektionselementen verringert werden, so dass die Abbiegegeschwindigkeit sinkt und geschützte Flächen für den Radverkehr entstehen. Zwar wurde die Sperrflächen markiert, aber die Protektion unterblieb – auch im Jahr 2022, trotz mehrfachen Drängens, insbesondere durch die ADFC Stadtteilgruppe Tempelhof. So fahren nun die Abbiegenden schwungvoll direkt ÜBER die Sperrflächen, statt langsam außen herum. Das Ergebnis ist gefährlicher als zuvor, weil sich Radfahrende möglicherweise in falscher Sicherheit wiegen.
Die Bilanz für 2022: Ziele komplett verfehlt.
Instandhaltungen von Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz
Die bestehenden Radverkehrsanlagen sind häufig viele Jahrzehnte alt und nicht gepflegt. Deshalb befinden sie sich vielerorts in einem beklagenswerten oder gar gefährlichen Zustand: Löcher, Wurzelaufbrüche, defekte Entwässerungen, Wasserlachen, unebene Beläge… Es gäbe also sehr viel instand zu setzen, auch im Stadtbezirk. Das sind Arbeiten, die in der Regel mit wenig Aufwand zu planen und zu bauen sind.
Die Bilanz für 2022: Keine wesentlichen Instandsetzungen an Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz.
Fahrradparken
SenUMVK hat Anfang 2018 ein 100.000-Bügel-Programm aufgelegt: Fahrradbügel, die berlinweit auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen sind, um das Fahrradparken grundsätzlich zu verbessern. Davon entfallen rechnerisch ca. 8.000 Fahrradbügel auf den Stadtbezirk.
Wir hatten im Februar 2018 dazu aufgerufen, mögliche Standorte für Fahrradbügel auf unserer Webseite einzugeben, um sie dann gesammelt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zu übergeben. Insgesamt gaben uns Bürgerinnen und Bürger über 220 Standortwünsche für über 2000 Fahrradbügel.
In den Jahren 2018 bis 2021 hat das Bezirksamt in Eigenregie einige Fahrradbügel aufgestellt. Deren Anzahl ist uns nicht bekannt. Sie dürfte maximal im kleinen dreistelligen Bereich liegen.
Aus dem Jahr 2022 sind uns keine neuen Fahrradbügel bekannt geworden.
Die Bilanz für 2022 ist schlecht.
Grünbeschichtung von Radfahrstreifen
Vorhandene Radfahrstreifen sollen grün markiert werden.
Das Management von Planung und Bauausführung erledigt InfraVelo im Auftrag von SenUMVK.
Im Bezirk wurde 2022 kein Radfahrstreifen grün markiert.
Die Bilanz für 2022: Ergebnis gleich Null.
Fassen wir zusammen
Beim Vorrangnetz sind wir ein Stück weit voran gekommen, aber gemessen an den Zielen des Radverkehrsplanes nicht weit genug.
Bei allen anderen Elementen der Radverkehrsinfrastruktur herrscht weiterhin Ebbe, es geht nicht voran.
Das Tempo des Planens und Bauens muss sich zukünftig vervielfachen, um annähernd an die Ziele des Mobilitätsgesetzes, des Radverkehrsplanes und der Koalitionsvereinbarung des Landes zu erreichen.
Dieses Infragestellen beschlossener Ausbauziele gefährdet die Mobiltitätswende insgesamt. Es muss aber weiterhin das oberste Ziel sein, dass alle sicher und entspannt Radfahren können. Dazu müssen die beschlossenen Ziele und Ausbaustandards eingehalten werden. Dazu ist weiterhin Druck von unten nötig und deshalb bitten wir um Deine Unterstützung.