Die SPD-Fraktion Tempelhof-Schöneberg hat es erneut getan: Zum dritten Mal im letzten halben Jahr will sie mit CDU, FDP und Rechtsaußen die Handbremse bei der Mobilitätswende ziehen. Dieses Mal betrifft es die Boelckestraße in Neu-Tempelhof. In der Debatte werden verbindliche berlinweite Vorgaben aus dem Mobilitätsgesetz und aus dem Radverkehrsplan als einseitige Extreme gebrandmarkt und damit delegitimiert – gerade auch von der SPD, die diese beiden Dokumente einst mit beschlossen hat. Dieses konsequente Abstimmungsverhalten lässt nur einen Schluss zu: Das Ziel im Bezirk ist augenscheinlich nicht die Mobilitätswende, sondern die Besänftigung von Autobesitzenden, indem bei den Planungen extra Rücksicht auf Parkplätze eingefordert wird. Das schreiben wir nicht, um auf die SPD draufzuhauen (das macht uns nämlich auch keinen Spaß und kostet enorm viel Zeit), sondern in dieser Traurigkeit stellt sich uns leider die Realität dar.
Der Artikel ist wieder länger, wer mag kann springen: Was ist der aktuelle Anlass an der Boelckestraße? Was fordert die SPD und warum ist es problematisch? Was ist von der Debatte im Ausschuss mitzunehmen? Was ist unsere Schlussfolgerung?
Was ist passiert?
Obwohl durch die sechsstreifige Boelckestraße täglich bis zu 30.000 Kraftfahrzeuge fahren, fehlen dort bislang die Radwege. Das von der Zivilgesellschaft erkämpfte und 2018 in Kraft getretene Mobilitätsgesetz verlangt, dass bis 2030 alle Hauptstraßen in Berlin Radverkehrsanlagen erhalten sollen. Inklusive weiterer Radverkehrsanlagen in Nebenstraßen müssten jedes Jahr allein in Tempelhof-Schöneberg 48 Kilometer (bzw. 24 Kilometer bei Hin- und Rückrichtung) Radwege geschaffen werden. Weil sowohl der Bezirk als auch Berlin insgesamt weit hinter dieser Vorgabe zurückliegen, wurde auf Senatsebene eine Projekteinheit zur Beschleunigung des Radwegebaus eingerichtet. Diese übernimmt bei ausgewählten Hauptstraßen nicht nur die Planung und Anordnung, sondern auch die Bauausführung. Die Boelckestraße ist die erste Straße in Tempelhof-Schöneberg, die so zügig zu den vorgesehenen Radverkehrsanlagen kommen soll. Dabei geht es um eine Strecke von insgesamt 3 Kilometern hin und zurück. Die Pläne sind fertig, angeordnet und die Ausführung ist ausgeschrieben. In der Oktobersitzung des Verkehrsausschuss wurden die Pläne präsentiert. Die Öffentlichkeit wurde am 19.10. in einer Informationsveranstaltung unterrichtet.
Die Pläne sehen dabei durchgängig Radverkehrsanlagen in beide Fahrtrichtungen vor. Je nach Streckenabschnitt gibt es bauliche Schutzelemente, auf der restlichen Fahrbahn gibt es neben einer Fahrspur teils eine zweite Fahrspur, teils markierte Sperrflächen und teils Parkplätze. Es bleiben 150 von bisher 285 Parkplätzen erhalten. Im gesamten Quartier gab es bislang 5.125 Stellplätze auf öffentlichem Straßenland. Mit anderen Worten: die Umwidmung von nur 2,5 Prozent der Stellflächen im Quartier reicht, um die nötige Fläche für sichere Radverkehrsanlagen zu gewinnen.
Dies war der CDU zu viel, alle Parkplätze sollten erhalten bleiben und der Umbau verschoben werden. Die SPD nutzte dann den Antrag der CDU, um einen Ersetzungsantrag einzubringen, der dann auch gemeinsam mit CDU, FDP und rechtsaußen übernommen wurde.
Was wurde im Verkehrsausschuss angenommen?
Der jetzt geänderte Antrag hat einen Vorteil: Radverkehrsanlagen werden grundsätzlich befürwortet. Das war es dann aber auch schon.
Dröseln wir mal den SPD-Antrag auf:
Boelckestraße – Interessen aller Verkehrsteilnehmer abwägen
Das Bezirksamt wird ersucht, die Planung für die Radverkehrsanlage in der Boelckestrasse auf folgende Aspekte zu prüfen und den zuständigen Ausschuss sowie die BVV zu informieren:
Weil Planung und Umsetzung der Radverkehrsanlage bei der Senatsverwaltung liegen und die Ausschreibung schon erfolgt ist, könnte man eigentlich schon aufhören, da das Bezirksamt hier keinen Einfluss mehr hat und der Beschluss der BVV nur reine Symbolpolitik ist. Aber Symbole sind für die Politik wichtig, deshalb machen wir weiter.
Beim Titel fällt auf: „Interessen aller Verkehrsteilnehmer abwägen“. Die SPD reklamiert für sich eine ausgleichende Position zwischen der Totalablehnung durch die CDU und der vorgelegten Planung. Indem sie so vorgeht, stellt sie die Behauptung auf, dass man das bisher unterlassen hätte. Sprich: Sie erhebt implizit den Vorwurf, dass hier eine einseitige Planung vorliege, die nur einen Teil der Interessen berücksichtige. Diese Aussage wurde auch im Ausschuss von Jan Rauchfuß wiederholt – obwohl das völlig faktenwidrig ist: Der Autoverkehr kann weiter fahren, es bleiben mehr als die Hälfte aller Stellplätze erhalten, der Radverkehr erhält gesetzes- und standardkonforme Radverkehrsanlagen und für den Fußverkehr gibt es neue Fußgängerüberwege. Viel ausgeglichener geht es nicht.
Wo die SPD die Schieflage sieht, wird im nächsten Absatz deutlich:
Für die Abschnitte zwischen Dudenstraße und Badener Ring sowie Eschwegering und Höppnerstraße soll eine Prüfung erfolgen, ob eine geänderte Anordnung des Radweges möglich ist, z.B. wie die bisherige Aufteilung und Umwidmung einer Fahrspur in eine markierte Radspur, so dass eine Aufstellfläche für Rettungsdienste vorhanden ist. Hierbei soll auch geprüft werden, welche alternativen Begrenzungsmöglichkeiten es gibt, so dass die Radspur deutlich von der Fahrspur abgegrenzt ist, aber eine Kreuzung zu einer möglichen Parkspur rechts von der Fahrradspur möglich ist.
Die Änderungsvorschläge betreffen die Straßenabschnitte, bei denen die bisherigen Stellplätze wegfallen sollen und an denen die geplante Aufteilung von außen nach innen so aussieht: Gehweg, Radspur, Protektion, Sperrfläche, Fahrspur. Die 2 Meter breite Sperrfläche wird als Problem gesehen und man möchte auf diese Abschnitte lieber noch Parkplätze reinquetschen. Mit anderen Worten: die Planung ist der SPD bislang zu wenig autofreundlich.
Nun sind wir einigermaßen leidenschaftslos, was jenseits der geschützten Radverkehrsanlagen auf den bisherigen Fahrbahnen passiert, solange die Sichtbeziehungen an Knotenpunkten und Einfahrten gut sind. Aber: Um alle bisherigen Stellflächen zu retten, soll geprüft werden, ob der Radverkehr in die Mitte der Richtungsfahrbahn wandern könne. Rechts davon soll weiter geparkt werden. Und damit das geht, soll , der bauliche Schutz soll zum „Schutzchen“ werden, der irgendwie schützt und trotzdem jederzeit überfahren werden kann. Das ist ein Widerspruch in sich und bedeutet in der Praxis: Der Radverkehr soll auf seinen Schutz verzichten und die Radspuren werden zur Durchfahrtsfläche für parkende Autos sowie zum Angebotsstreifen für Zweite-Reihe-Parker. Zudem gibt es wieder die Gefahr von „Dooring-Unfällen“, wenn rücksichtslos Autotüren geöffnet werden und Radfahrende nicht mehr ausweichen können. Das ist letztlich der alte und überholte Minimalstandard, nach dem in Berlin bis ins letzte Jahrzehnt geplant wurde.
Seit 2018 gilt in Berlin ein Mobilitätsgesetz. Das macht für Radverkehrsanlagen auf Hauptstraßen sehr deutliche Vorgaben:
Radverkehrsanlagen an oder auf Hauptverkehrsstraßen
(1) Auf oder an allen Hauptverkehrsstraßen sollen Radverkehrsanlagen mit erschütterungsarmem, gut befahrbarem Belag in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite eingerichtet werden. Diese sollen so gestaltet werden, dass sich Radfahrende sicher überholen können. […]
(2) Im Sinne vorausschauender Planung ist die in Umsetzung der Planung zu erwartende Radverkehrsnutzung bei der Dimensionierung zu berücksichtigen. Die Radverkehrsanlagen sollen so gestaltet werden, dass unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt. Näheres wird im Radverkehrsplan und in den Vorgaben für die Radverkehrsplanung geregelt.
Berliner Mobilitätsgesetz, § 43
Und im Radverkehrsplan ist geregelt:
BEI RADVERKEHRSANLAGEN AN HAUPTVERKEHRSSTRASSEN GILT FOLGENDE PRIORISIERUNG:
— Im Regelfall sind Radverkehrsanlagen zu schaffen oder so zu sanieren, dass sie baulich (etwa in Form von Protektionselementen oder Borden) oder durch sonstige Schutzeinrichtungen, wie zum Beispiel Baumreihen oder Sträucher, vor illegalem Befahren und Halten durch Kfz schützen. Dabei müssen die Sichtbeziehungen aufrechterhalten werden.
— Sollte der Regelfall nicht umzusetzen sein, sind andere geeignete Maßnahmen anzuwenden, zum Beispiel Radfahrstreifen ohne bauliche Trennelemente, falls aus Platzmangel oder anderen Gründen baulich abgetrennte oder geschützte Radverkehrsanlagen nicht realisierbar sind. In diesen Situationen sollten weitere Möglichkeiten geprüft werden, den motorisierten Individualverkehr zusätzlich zu verringern oder die Reduzierung der Geschwindigkeit anzuordnen.
— Da die Anlage von Radfahrstreifen seit der StVO-Änderung vom 14. Dezember 2016 aufgrund der entfallenen Voraussetzung einer „qualifizierten Gefahrenlage“ erleichtert ist, sind Schutzstreifen nur noch in begründeten Ausnahmefällen zulässig.
— Im Regelfall soll die Anlage von Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen nicht zulasten des Fußverkehrs erfolgen.
Radverkehrsplan des Landes Berlin, S. 34
Der unmittelbare Zweck dieser Regelungen sind Radverkehrsanlagen, an denen sich objektiv wenig bis keine Unfälle ereignen und die ebenso in der Wahrnehmung auch unsicherer Radfahrenden Sicherheit vermitteln. Denn das größere Ziel ist, dass mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen und so der PKW-Verkehr abnimmt. Und das geht nur, wenn die Radwege auch einladend sind. Der Tempelhofer Damm zeigt, dass die geschützten Radwege genau diesen Effekt haben.
Die zu prüfenden Schutzstreifen wären demgegenüber ein deutlicher Rückschritt. Sie sind in den bindenden Vorgaben sehr deutlich nur die allerletzte Option – und trotzdem werden sie gefordert.
Wir können uns wirklich nicht vorstellen, dass an der SPD und ihrer verkehrspolitischen Sprecherin in Tempelhof-Schöneberg diese auch von der SPD mitbeschlossenen Regelungen zum Radverkehr völlig vorbei gegangen sind. Und dennoch werden regelkonforme Planungen als einseitig und überzogen delegitimiert.
Zudem hat man Sorge, dass es Problem mit Stellflächen für Rettungskräften geben könnte. Das ist haltloses Geraune, denn in der aktuellen Planung gibt es einen freien breiten Radweg, eine Reihe mit Pollern, eine freie Sperrfläche und eine Fahrbahn: mehr freier Platz kann gar nicht geschaffen werden, erst recht nicht durch eine blockierende Reihe abgestellter Autos.
Der zweite Absatz lässt uns staunen, wieviel Fürsorge die SPD Parkplätzen angedeihen lässt:
Für die anstehende Einrichtung der Parkraumbewirtschaftung bzw. des Anwohnerparkens ist eine Ausgleichsrechnung zu erstellen, so dass abgewogen werden kann, ob ein möglicher Wegfall von Parkplätzen für die Anwohner dadurch ausgeglichen werden kann. Besonderer Schwerpunkt ist hierbei auf Lieferzonen, Ein- und Aussteigebereiche für öffentliche Einrichtungen und Behindertenparkplätze zu legen.
Diese Mühe um Parkplätze ist gerade zu rührend. Das politische Ziel ist der Ausgleich von wegfallenden Stellplätzen. Dafür soll abgewogen werden, ob die anstehende neue Parkraumbewirtschaftung die wegfallenen Stellflächen kompensieren kann. Welchen Zweck soll diese Information haben? Aufgebrachte Anwohnende beruhigen? Oder doch Schlagzeilen für die Bild-Zeitung generieren? Es mag ja gelingen, dass genügend Autos verschwinden, wenn für das Parken gezahlt werden soll. Aber was passiert, wenn die Stellflächen der Radverkehrsanlage doch nicht kompensiert werden können? Was sagt man dann? Hofft man, dass es dann nicht mehr so viele sind und dass es verkraftbarer wird? Und wo liegt die Schwelle? Zugespitzt gefragt: Ab wie vielen Parkplätze kann man denn einen Radweg bedenkenlos anlegen? Wie viele Stellplätze darf ein Radweg „kosten“, bevor es „unverhältnismäßig“ wird?
Ganz im Ernst: diese Anfrage hilft niemanden weiter. Aber sie suggeriert, dass erstens die Zahl von wegfallenden Parkplätzen ein relevantes Kriterium für die Angemessenheit von Radwegen ist und dass es zweitens eine Fürsorgepflicht für öffentliche Stellplätze privater Kraftfahrzeuge zu geben scheint. Und an dem Punkt ist jemand wirklich falsch abgebogen, denn beides ist falsch.
Den letzten Absatz zu eventuellen Umleitungen behandeln wir nicht.
Was fiel uns in der Debatte auf?
Wir haben aus dem Ausschuss getwittert, deswegen greifen wir hier nur die relevanten Punkte auf:
- Die Klimarelevanz des Radnetzes bzw. seiner Elemente wird verneint – und zwar sowohl von SPD als auch von CDU: Eine Straße bzw. ein Radweg werde allein das Klima nicht retten. Ausgeblendet bleibt dabei, dass erstens wichtige Verbindungen eine erhebliche Netzwirkungen haben können. Die Boelckestraße ist beispielsweise Teil der Achse Lankwitz – Tempelhof – Kreuzberg – Mitte. Eine Klimawirkung entsteht zweites vor allem durch das Netz, dass sich eben aus solchen Einzelabschnitten wie der Boelckestraße oder der Handjerystraße zusammensetzt. Fehlt ein Abschnitt, dann hat das Netz ein Loch und dann wird dort nicht Rad gefahren. Und drittens wird ausgeblendet, dass sich die Verantwortung für die Einsparung von Emissionen im Bezirk nicht vom Bezirk wegdelegieren lässt – Parteifarbe und politische Grundhaltung hin oder her.
- Weil es keine Klimarelevanz gibt, ist das wichtigste Anliegen insbesondere (aber nicht nur) für die SPD ein Konsens auf der Straße. Es müssen alle mitgenommen werden. Erst recht, bei 130 Parkplätzen. Das sei eine ganze Menge und sinngemäß braucht es dafür sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit. Dazu gehört auch, es müsse an alle gedacht werden, es müsse einen Ausgleich für alle geben. Das führt in der Tendenz zur Bewahrung des Status-Quo und das Ziel einer Änderung der Verkehrsmittelanteile verschwindet völlig.
- Es wird ernsthaft von der SPD behauptet, dass das Mobilitätsgesetz einen Ausgleich zwischen allen Verkehrsmitteln und das Mitnehmen aller einfordert. Das ist schlicht falsch. Das Mobilitätsgesetz legt die Priorität auf den Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr sowie auf die Vision Zero.
- Auch wenn es inhaltlich nichts beiträgt, es muss einmal thematisiert werden: Es ist ungeheuerlich, dass Johannes Rudschies (CDU) es zum wiederholten Mal für eine brauchbare Strategie hält, engagierte Bürgern persönlich anzugreifen und ihnen gegenüber unverschämt zu werden. Dieses Mal wurde ein Vertreter von uns vor dem gesamten Ausschuss als Demokratiefeind beschimpft. Das ist kein angemessenes Verhalten für einen Bezirksverordneten, denn als Bürger*in ohne Rederecht hat man keine Möglichkeit mehr, darauf am Mikrofon zu reagieren. Deshalb ist es auch schlimm, wenn die anderen Bezirksverordneten das unkommentiert stehen lassen. Man muss schon viel Überzeugung haben, um sich dennoch in die Bezirkspolitik einzubringen.
Was sind die Schlussfolgerungen?
Weil die Boelckestraße sowohl in der Planung, als auch in der Anordnung und Durchführung ein Projekt der Senatsverwaltung ist, wird die Radverkehrsanlage wie geplant umgesetzt werden.
Wir haben aber ein grundlegendes Problem im Bezirk: Erst stimmte die SPD mit der CDU, um die Umwandlung von Autostellflächen in Lastenradstellflächen zu verhindern. Das zweite Mal stimmte die SPD mit CDU, FDP und Rechtsaußen gegen geltende Planungsstandards, um unter anderem Autostellflächen bei der Einrichtung der Fahrradstraße Handjerystraße zu retten. Das dritte Mal soll nun in der Boelckestraße eine regelkonforme Planung von Radverkehrsanlagen wiederum vorschriftswidrig abgespeckt werden, um erneut Parkplätze zu retten. Offensichtlich wird hier die Verkehrswende hintertrieben, wenn sich nicht nur die Opposition, sondern auch die SPD im Ergebnis mehr Sorgen um Autostellplätze als um die Umsetzung bereits beschlossener Maßnahmen zur Umsetzung der Mobilitätswende macht. Dreimal hintereinander ist kein Versehen mehr, sondern Absicht. Und es steht zu erwarten, dass bei der nächsten Planung das gleiche Spiel erneut beginnt.
Wie bereits in einem anderen Beitrag dargestellt: Die SPD-Fraktion steht aktuell für „Radverkehrsförderung ja, aber nicht so sehr“ – mit groß geschriebenem Aber. Wichtiger ist die Einbeziehung „aller“ und das „Mitnehmen“. Das geschieht aber ziemlich einseitig: Man nimmt die Sorge vor drohenden Stellplatzverlusten ernst, die Angst vor Dooring-Unfällen, knappen Überholmanövern, blockierenden Falschparkern auf Schutzstreifen sollen Radfahrende dagegen eingehen. Die alternativ vorgeschlagenen unsicheren Radverkehrsanlagen marginalisieren gerade schwächere Verkehrsteilnehmende: Kinder, Ältere, unsichere Radfahrende. Aber gerade auf diese Gruppen muss die Radinfrastruktur ausgerichtet sein, nicht auf die wenigen selbstbewussten und sicher Radfahrenden. Das Ziel, den Anteil des Radverkehrs nennenswert zu erhöhen, wird so nicht erreicht, und deshalb sind diese überkommenen Ansätze seit dem Mobilitätsgesetz auf dem Müllhaufen veralteter Verkehrspolitik gelandet.
Und auch insgesamt: das „Wie“ der Verkehrswende (die Umsetzungsvorgaben aus dem Radverkehrsplan) wird mit überholten und schlechteren Ideen ersetzt. Das „Was“ der Verkehrswende, also die Ziele aus dem Mobilitätsgesetz, wird durch bremsende Einwürfe ausgesteuert. Die Fahrradstraße Handjerystraße ist versackt in der BVV (sie hätte jetzt schon fertig eingerichtet sein können!) und weiteren Planungen an Hauptstraßen wird misstrauisch begegnet. Man kann sehr gut an den Anträgen sehen, wohin eine Fraktion ihre Energie lenkt und welche Ziele wichtig sind. Im Ergebnis bleibt festzustellen: Man dämonisiert Probleme und delegitimiert damit die Verkehrswende. Wer Probleme sucht und sich auf sie fokussiert, findet auch welche und macht sie im Zweifel größer als sie sind. Was dagegen völlig fehlt, ist die Überzeugungsarbeit, welche Vorteile die eigenen Wähler*innen von einer Verkehrswende hätten. Wir hören andererseits auch keine Forderungen, damit die eigenen Wähler*innen von der Verkehrswende besonders profitieren könnten. Man kürzt nur die Pläne ein und versucht das als Erfolg zu verkaufen. Aber durch diese halben Schritte schafft man am Ende nur die halbe Strecke. Mehr noch: man hat unterwegs viele Betroffene verloren. Und durch immer neue Zwischenrufe hinkt die ohnehin schon verspätete Umsetzung des Radverkehrsnetz immer weiter hinterher.
Es bleibt am Ende dabei: Raum und Straßenfläche ist in der Regel nicht vermehrbar. Deshalb geht die Mobilitätswende unweigerlich einher mit Flächenkonflikten und Flächenentscheidungen. An denen muss man sich ehrlich machen und Entscheidungen für die nachhaltigen Mobilitätsformen treffen. Die SPD-Fraktion hat sich jetzt zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit dagegen und für den Schutz von Parkplätzen und damit für die Bewahrung des Status Quo entschieden. Klimapolitik im Verkehr scheint reine Symbolpolitik zu sein, die den Umweltverbund mit kleinen Häppchen abspeist, weil die nötige Flächenumverteilung als Problem aufgebaut wird. Allen verbalen Abgrenzungen zum Trotz: Genau so wird die autogerechte Stadt konserviert.