Unsere Antwort auf die CDU-Fraktion in Tempelhof-Schöneberg
Sehr geehrter Herr Dittmar, sehr geehrte CDU-Fraktion in der BVV Tempelhof-Schöneberg,
mit sehr großer Verwunderung haben wir Ihre Pressemitteilung vom 01.02.2021 zur Kenntnis genommen.
Deshalb bitten wir Sie um Aufklärung zu den folgenden Fragen:
Wie soll im Ist-Zustand mit den beiden schmalen Gehwegen, den sechs Spuren für Autos – aber keinem Radweg – ein „einvernehmliches Miteinander der verschiedenen Verkehrsarten“ erreicht werden? Vielmehr gilt doch im Gegenteil: durch die Öffnung des Tempelhofer Damms für den Radverkehr wird ein Miteinander überhaupt erst ermöglicht.
Warum sehen Sie keine Notwendigkeit für einen Radweg? Allein in den ersten drei Jahren nach unserem Einwohnerantrag sind zwischen Ullsteinstraße und Alt-Tempelhof bei 37 Unfällen mit Beteiligung von Radfahrenden 20 Personen leicht und eine schwer verletzt worden. Anders gesagt: Es gab in jedem Monat mindestens einen Unfall und in jedem zweiten Monat wird jemand dort verletzt. Die polizeilichen Daten geben eine genaue Auskunft, was dort schief läuft: Es werden Autotüren rücksichtslos aufgerissen, es wird zu eng überholt und es werden Menschen auf Gehwegen gefährdet, weil zu viele Radfahrende dorthin aus Angst ausweichen. Die Strecke zwischen Alt-Mariendorf und Ullsteinstraße ist übrigens mit 32 Leicht- und 4 Schwerverletzten noch gefährlicher. Auf beiden Abschnitten wären eigentlich unverzügliche Sofortmaßnahmen zur Verhinderung weiterer Unfälle zu ergreifen. Möchten Sie also die Verantwortung für zukünftige Verletzungen oder hoffentlich nicht passierende Todesfälle gegenüber den Betroffenen und Angehörigen übernehmen? Wirklich?
Was haben Sie seit dem Beschluss zum Umbau im Jahr 2017 getan? In dem langwierigen Prozess der Bürger_innenbeteiligung haben wir von der CDU keine Vorschläge wahrnehmen können. Wenn für Sie die Alternativen „auf der Hand“ liegen, dann benennen Sie diese bitte jetzt konkret. Welchen konkreten Umweg soll die Zahnarzthelferin auf ihrem Weg zur Arbeit am Morgen fahren? Wie Sie sicher wissen, haben fast alle Nebenstraßen ein schlechtes Kopfsteinpflaster. Wir möchten einen verbindlichen Vorschlag: In welchem Zeitplan wollen Sie welche Seitenstraße konkret asphaltieren? Welche Lösung haben Sie für die vermutlich lange Übergangszeit? Und weil diese Straßen oftmals schmal sind und Sie Dooring-Unfälle sicher auch verhindern wollen: Sind Sie wirklich bereit, dort die bisherigen Stellplätze entfallen zu lassen? Und wie wollen Sie die dennoch nötige sichere Erreichbarkeit von Rathaus, Post und Handel direkt am Tempelhofer Damm sicherstellen?
In diesem Zusammenhang: Wie können Sie es rechtfertigen, dem lokalen Handel weiterhin eine gute Erreichbarkeit für Kund_innen mit dem Fahrrad zu verweigern? Studien belegen: Kund*innen mit dem Fahrrad erzeugen mehr Umsatz als solche mit Auto. Sie machen zwar kleinere Einkäufe, dafür aber häufigere. Den Geschäften geht es mit Fahrradwegen deshalb besser. Sie schreiben zurecht selbst: der Handel braucht jeden Kunden. Sowohl unsere Zählungen im Jahr 2017 als auch die Untersuchungen des Bezirksamts (S. 46) ergaben: Hier parken oftmals Anwohnende und Beschäftigte. Diese Dauerparkenden behindern die eigentliche Kundschaft. Was könnte den Geschäften also besseres passieren, als wenn diese Blechblockade vor der Ladentür gelöst wird und die Läden zukünftig sicher und entspannt von allen erreicht werden können? Was würde mehr für die Aufenthaltsqualität bringen als weniger Autoverkehr?
Für die 209 bisher dort stehenden Autos findet sich garantiert ein warmes und trockenes Plätzchen in den drei anliegenden Parkhäusern mit insgesamt über 900 Stellplätzen, von denen regelmäßig etwa die Hälfte bislang frei ist.
Und ganz grundsätzlich stellt sich uns die Frage: Welchen Stellenwert haben für Sie demokratische Prozesse und Beteiligungsverfahren? Sie haben am 19.07.2017 in der BVV für den Antrag Drucksache 0261/XX gestimmt. Dieser Antrag machte für die Planung der Radspuren detaillierte Vorgaben unter anderem mit einem Beteiligungsverfahren in der Öffentlichkeit. Was sagen Sie den Menschen, die sich hier über Jahre engagiert eingebracht haben? Und wieso stellen Sie heute Ihre eigene damalige Zustimmung infrage?
Wie Sie wissen, haben für diese Radwege 2017 innerhalb von nur zweieinhalb Wochen mehr als 2.000 Bürger_innen unseren Einwohnerantrag unterschrieben. Die BVV hat unseren Antrag im September 2017 mit leichten Änderungen angenommen. Wieder müssen wir fragen: Was sagen Sie uns und diesen Bürger_innen?
Sehr geehrter Herr Dittmar, sehr geehrte Fraktion der CDU in der BVV Tempelhof-Schöneberg,
was uns neben diesen Fragen aber noch grundsätzlich irritiert: Wir lesen aus Ihrer Pressemitteilung vor allem ein autopopulistisch-bräsiges „Weiter so“. Hauptsache, Autos können weiter am Straßenrand ohne zusätzliche Kosten abgestellt werden. Die Hauptstraßen gehören dem Autoverkehr und die Radfahrenden sollen sich halt in irgendwelche Seitenstraßen verziehen und in welche wie konkret, interessiert nicht weiter. Dieser Stil ist eigentlich der CDU nicht würdig. Denn wir vermissen jedes Verantwortungsgefühl für die schwächeren Verkehrsteilnehmenden: für die Kinder und Jugendlichen, für die Seniorinnen und Senioren. Diese sind schließlich die Hauptleidtragenden der aktuellen Situation. Wir vermissen aber auch Ihre lokale Antwort auf die bereits deutlich spürbare Klimakatastrophe. Wir vermissen Ihre Lösung für das erhebliche Falschparkproblem in den angrenzenden Straßen, in denen nicht selten Straßenecken und Übergänge gefährlich verstellt werden. Wie soll sich das ändern, wenn Sie das Umsteigen auf das stadtverträglichere Fahrrad blockieren?
Sehr geehrter Herr Dittmar, sehr geehrte Fraktion der CDU in der BVV Tempelhof-Schöneberg,
die CDU war hier schon einmal deutlich weiter. Nehmen Sie sich beispielsweise die Worte des verkehrspolitischen Sprechers der CDU im Abgeordnetenhaus Oliver Friederici zu Herzen, der 2017 noch selbst vorschlug:
„Der Tempelhofer Damm, da müssten Sie höchstens Parkverbote in die Nord- und Südrichtung anordnen. Dann können Sie übrigens problemlos eine Fahrradspur, eine Fahrradspur anlegen.“
Oliver Friederici, Radioeins, 6.4.2017 im Interview mit Holger Klein und Katja Weber auf radioeins, wörtliches Transkipt
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg